Besondere Vorkommnisse: Keine. Erinnerungen eines Lehrers in der DDR.
„…ewiger Nörgler und Pessimist, nimmt durch mehr oder weniger staatsfeindliche Äußerungen zu nahezu allen Problemen eine oppositionelle Haltung ein…“ Diese Einschätzung eines Lehrerkollegen, der ihn als IM beobachtete, trifft ziemlich genau die Haltung des Autors zur DDR.Als Jugendlicher war Hans-Dieter Waltz durch Nationalsozialismus und Krieg, an dem er sich ab der neunten Klasse aktiv zu beteiligen hatte, maßgeblich geprägt worden. Seine Hoffnung, endlich in einem freien Land leben zu dürfen, wurde mit der Entwicklung in Ostdeutschland zunichte gemacht. In seinen Erinnerungen lässt Waltz die Zeit des Nationalsozialismus, die Nachkriegsjahre und die DDR wieder lebendig werden und ermöglicht dem Leser insbesondere einen Einblick in Alltag und Entwicklung von Schule in der DDR.Nach der politischen Wende wirkte der promovierte Chemiker bei der Gestaltung der neuen demokratischen Ordnung auf kommunalpolitischer Ebene in vielfältiger Weise mit, obwohl sein Alter ihm Grenzen setzte.2001 wurde er für sein Lebenswerk mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse geehrt.
Waltz, Hans-Dieter: Besondere Vorkommnisse: Keine. Erinnerungen eines Lehrers in der DDR.
ISBN 978-3-937772-18-9, Paperback, 280 Seiten, 24,90 Euro
Eine ebensolche Manie wie das Pläneschreiben stellte das Sitzungsunwesen dar. Was da gesessen und gesessen wurde – es war oft zum Verzweifeln. So mussten die Angelegenheiten des täglichen Arbeitens natürlich in wöchentlichen Dienstbesprechungen geregelt werden. Bedeutsame Dinge, insbesondere solcher grundsätzlicher Natur (welche waren nicht grundsätzlicher Art?), wurden im „Pädagogischen Rat“, der uns so alle sechs bis acht Wochen erfreute, abgehandelt. Hier hatte der Schulleiter eine meist weidlich ausgenutzte Möglichkeit, den Stand der politisch-ideologischen Entwicklung von Schülern, Lehrern und ganzen Klassen darzulegen, Vorschläge (verbindlich) zur Verbesserung der Arbeit zu machen und ausgiebig Kritik an unzureichend tätigen Kollegen zu üben. Selten kam man ungeschoren davon. (…)
So manches Problem konnte nur durch alle Kollegen einer Stufe geregelt werden, eine Stufenkonferenz wurde einberufen, so drei-, bis viermal im Jahr. Unterrichtete man in mehreren Stufen, bedeutete das zehn, zwölf weitere Sitzungen.
An jeder Schule hatte ein Fachzirkel, in dem alle Lehrer des betreffenden Faches mitwirken mussten, die Angelegenheiten eines Faches zu koordinieren, alle vier Wochen tagte dieser. Da jeder mehrere Fächer gab, kamen weitere acht Versammlungen im Jahr zusammen. Da es auch auf der Kreisebene solche Zirkel gab, denen die meisten Lehrer zugeteilt worden waren, durfte man auch dort so fünf- oder sechsmal erscheinen.
Das wichtigste Rüstzeug für die tägliche Arbeit erhielt jeder im Parteilehrjahr, das alle vier Wochen besucht werden musste. Zum Parteilehrjahr hatte man sich schriftlich vorzubereiten. (…)
Selbstverständlich forderten auch andere Organisationen ihr Recht auf Zusammenkünfte, so die Schulgruppe der DSF, der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, denn wem war die Freundschaft mit den Sowjetmenschen nicht eine Herzensangelegenheit, über die zu sprechen war? (…)
Da ein Lehrer kaum sachgerecht tätig sein konnte, ohne angeleitet zu werden, kamen zu den sonstigen Sitzungen noch solche hinzu, die der Anleitung für die abzuhaltenden Versammlungen dienten…“